Annex 15: Praxisleitfaden zur Validierung und Qualifizierung nach GMP (2015)
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Praktischer Leitfaden zu Annex 15: Der Qualifizierungs- und Validierungsprozess Schritt für Schritt
Über IQ/OQ/PQ hinaus: Der Lifecycle-Ansatz von Annex 15
In der GMP-Welt war „Validierung“ jahrzehntelang gleichbedeutend mit der „3-Chargen-Regel“. Ein festes Ritual: Anlage installieren, IQ (Installation Qualification), OQ (Operational Qualification) und PQ (Performance Qualification) durchführen, drei konforme Chargen herstellen und den Bericht ablegen.
Annex 15 der EU-GMP (Revision 2015) hat diesen statischen Ansatz beseitigt.
In Übereinstimmung mit den internationalen Leitlinien (ICH Q8, Q9, Q10) und der „Process Validation Guidance“ der FDA (2011) hat Annex 15 offiziell den Lifecycle-Ansatz und das Quality Risk Management (QRM) eingeführt.
Das bedeutet: Validierung ist kein Ereignis mehr, sondern ein kontinuierlicher Prozess, der vor der Planung beginnt und erst mit der endgültigen Außerbetriebnahme der Anlage endet. Für Validierungs- und QA-Fachkräfte bedeutet dies einen Mentalitätswechsel und eine strukturierte Arbeitsmethodik.
Sehen wir uns an, wie Annex 15 praktisch Schritt für Schritt umgesetzt wird.
🗺️ Phase 1 (Planning): Der Validation Master Plan (VMP)
Bevor irgendein Protokoll geschrieben wird, braucht es eine Strategie. Der Validation Master Plan (VMP) ist das in Annex 15 geforderte Planungsdokument, das definiert, was, wie und warum validiert wird.
Ein robuster VMP, wie in Abschnitt 4.3 von Annex 15 gefordert, muss enthalten:
- Validierungspolitik: Die Unternehmensphilosophie (z. B. risikobasierter Ansatz, Nutzung von C&Q-Daten usw.).
- Organisation und Verantwortlichkeiten: Wer was macht (Validation, QA, Engineering, Produktion).
- Systemliste: Inventar von Anlagen, Prozessen, Utilities und computergestützten Systemen mit ihrem aktuellen Validierungsstatus.
- Risikomanagement (QRM): Wie QRM (Annex 20) zur Bestimmung des Umfangs und der Priorität der Validierungen eingesetzt wird.
- Re-Qualifizierungsstrategie: Nicht mehr „alle 5 Jahre“, sondern risikobasiert und gestützt auf Daten der „Continued Verification“.
- Dokumentenmanagement: Wie Protokolle, Berichte, Abweichungen und Change Controls im Rahmen der Validierung verwaltet werden.
GMP-Best Practice: Der VMP darf kein „totes“ Dokument sein. Er muss regelmäßig aktualisiert werden (mindestens jährlich oder nach wesentlichen Änderungen) und zur Planung der Validierungsressourcen dienen.
🏗️ Phase 2 (Specification & Design): DQ und die Bedeutung des risikobasierten Ansatzes
Die Validierung beginnt vor dem Kauf der Anlage.
- URS (User Requirements Specification): Die Nutzer (Produktion, QC) definieren, was die Anlage leisten muss. QA ergänzt GMP-Anforderungen (z. B. Reinigbarkeit, Data Integrity, geeignete Materialien).
- DQ (Design Qualification): Annex 15 definiert sie als „dokumentierte Verifizierung, dass das vorgeschlagene Design […] für den vorgesehenen Zweck geeignet ist“.
In dieser Phase müssen das Validierungsteam und QA das Engineering-Design kritisch prüfen, um sicherzustellen, dass es „validierbar“ ist.
Wichtig: FAT (Factory Acceptance Testing) und SAT (Site Acceptance Testing) wirkungsvoll nutzen. Annex 15 fördert ihren Einsatz, sofern sie dokumentiert und beaufsichtigt werden (auch durch QA), um nachfolgende IQ/OQ-Tests zu entlasten. Das ist ein effizienter risikobasierter Ansatz, im Einklang mit ISPE-Guides (z. B. Baseline Guide 5).
⚙️ Phase 3 (Execution): Qualifizierung (IQ, OQ, PQ)
Dies ist die klassische operative Phase – aber Annex 15 verlangt einen risikobasierten Fokus.
Installation Qualification (IQ):
Ziel: Ist die Anlage gemäß dem Design installiert?
Prüfungen: P&ID-Verifizierung, produktberührende Materialien, Kalibrierungen, Utility-Anschlüsse, Lieferantendokumentation.
Operational Qualification (OQ):
Ziel: Funktioniert die Anlage gemäß den operativen Spezifikationen?
Prüfungen: Betriebsbereiche (min/max), Alarme, automatische Sequenzen, Sicherheitsverriegelungen, SOPs.
Performance Qualification (PQ):
Ziel: Produziert die Anlage konsistent Qualitätsprodukte unter realen Bedingungen?
Prüfungen: Worst-Case-Tests, Prozesssimulationen (z. B. Media Fill für Annex 1), Robustheit, Gleichmäßigkeit.
🔄 Phase 4 (Lifecycle): Prozessvalidierung und CPV
Hier hat Annex 15 die größten Veränderungen gebracht (Abschnitt 5).
Ende der retrospektiven Validierung
Annex 15 ist eindeutig: Retrospektive Validierung (basierend nur auf historischen Chargendaten) „ist nicht mehr akzeptabel“.
Legacy-Prozesse ohne gültige Validierung müssen prospektiv validiert werden.
Die drei Ansätze zur Prozessvalidierung (PV)
Annex 15 bietet – im Einklang mit der FDA – Flexibilität:
- Traditioneller Ansatz: Klassische Validierung mit einer festgelegten Anzahl Chargen (z. B. 3 Chargen). Geeignet für einfache, gut verstandene Prozesse.
- Continuous Process Verification (CPV): Für QbD-entwickelte Prozesse, bei denen ein kontinuierliches Monitoring die 3-Chargen-Validierung ersetzt. Erfordert hohe Prozessreife und robuste statistische Systeme (SPC).
- Hybridansatz: Der häufigste Ansatz: 1–3 PQ/PV-Chargen plus anschließende „Continued Process Verification“ (OPV).
Die endlose „Phase 5“: Continued Process Verification (CPV/OPV)
Annex 15 verlangt, dass der Prozess nach der PQ kontinuierlich überwacht wird.
Praktisch bedeutet das:
- CPP (Critical Process Parameters) und CQA (Critical Quality Attributes) identifizieren.
- Daten für jede kommerzielle Charge erfassen.
- Statistische Auswertung (z. B. Regelkarten, Cpk) im jährlichen Product Quality Review (PQR).
- Ziel: Prozesseinflüsse erkennen, bevor ein OOS entsteht.
🧼 Phase 6 (Spezielle Bereiche): Reinigung & Transport
Annex 15 hebt zwei oft unterschätzte Bereiche hervor:
Cleaning Validation (Reinigungsvalidierung):
- Was sich ändert: Keine willkürlichen Grenzwerte mehr (z. B. „10 ppm“ oder „1/1000 der Dosis“).
- Was zu tun ist: Grenzwerte müssen auf wissenschaftlichen toxikologischen Daten (PDE – Permitted Daily Exposure) basieren, wie von der EMA gefordert.
Transport Validation (Transportvalidierung):
- Was sich ändert: Transport ist nun ausdrücklich Teil von Annex 15.
- Was zu tun ist: Versandwege, Container und Datenlogger müssen unter Worst-Case-Bedingungen qualifiziert werden (z. B. Sommer/Winter).
🚫 Häufige Fehler und Inspektionsbefunde (gemäß Abschnitt 6.5)
- Kommerzielle Prozesse ohne jegliche Validierung (wie in einer FDA Warning Letter 2025 festgestellt).
- Change Controls (z. B. Scale-Up, Siebwechsel) ohne Neubewertung des Validierungsstatus.
- Veraltete Reinigungslimits (10 ppm), nicht PDE-basiert.
- Vernachlässigung der Data Integrity (z. B. fehlende Rohdaten der Qualifizierung).
✅ Kompakte operative Annex-15-Checkliste (Abschnitt 6.6)
- Haben wir einen aktuellen VMP, der die risikobasierte Strategie widerspiegelt?
- Haben wir retrospektive Validierungen vollständig eliminiert?
- Nutzen wir QRM zur Bestimmung des Umfangs der Qualifizierung?
- Basieren die Reinigungslimits auf PDE-Daten?
- Haben wir ein System für CPV/OPV und verwenden wir es im PQR?
- Löst unser Change Control automatisch eine Bewertung des Validierungsstatus aus?
✅ Fazit: Validierung als Treiber der Qualität
Annex 15 hat die Validierung von einem bürokratischen „Kostenfaktor“ zu einer strategischen Investition gemacht.
Ein robuster, lifecycle-basierter und risikoorientierter Validierungsansatz gewährleistet nicht nur Compliance, sondern reduziert Ausschuss, Abweichungen und OOS – und verbessert die Produktionseffizienz.
Die vollständige operative Anleitung analysiert jede Sektion von Annex 15 und bietet detaillierte Checklisten, ISPE-Best-Practice und Beispielprotokolle, um ein belastbares, audit-sicheres Validierungssystem aufzubauen.
Mehr dazu findest du in der vollständigen GuideGxP-Leitfaden.
