Praktischer Leitfaden zur Chargenfreigabe (Batch Release) | EU-GMP-Anhang

Chargenfreigabe (Batch Release): Praxisleitfaden Schritt für Schritt (Annex 16)

Einleitung: Mehr als eine Unterschrift – ein Prozess

Die Zertifizierung einer Charge (Batch Release) durch die Qualified Person (QP) ist der letzte Schritt, der ein pharmazeutisches Produkt von „Material in Quarantäne“ zu „Patientenfertigem Arzneimittel“ macht. Dieser Prozess ist kein einfacher Stempel; er ist eine systematische und dokumentierte Prüfung.

Die operative „Bibel“, die die QP in dieser Tätigkeit leitet, ist der Annex 16 der EU GMP: „Certification by a Qualified Person and Batch Release“. Dieses Dokument übersetzt die gesetzlichen Verpflichtungen der Richtlinie 2001/83/EG in eine operative Roadmap. Die Nichteinhaltung des Annex 16 gehört zu den kritischsten Abweichungen, die ein Inspektor feststellen kann.

Dieser praktische Leitfaden beschreibt die operativen Schritte, die jede QP für eine audit-sichere Chargenfreigabe befolgen muss.


Phase 1: Zusammenstellen und Prüfen des Chargendossiers

Die QP darf nicht „auf Vertrauen“ freigeben. Die Entscheidung muss auf vollständigen dokumentarischen Nachweisen beruhen. Der erste Schritt besteht darin, sicherzustellen, dass das Freigabepaket (oft vom QA vorbereitet) vollständig ist.

Die Pflichtdokumentation umfasst:

Batch Manufacturing Record (BMR) und Batch Packaging Record (BPR):
Die Logbücher der Charge. Die QP überprüft, ob sie:

  • vollständig und ohne leere Felder sind,
  • alle kritischen Schritte unterschrieben sind (Operator und Supervisor – Double Check),
  • die Prozessparameter (z. B. Temperaturen, Zeiten) innerhalb der validierten Bereiche liegen,
  • die Ausbeuten innerhalb der erwarteten Grenzen liegen,
  • Korrekturen gemäß SOP (einzelne Linie, Datum, Unterschrift, Grund) vorgenommen wurden.

Testbericht und Analysenzertifikat (CoA)
QC-Ergebnisse. Die QP prüft, ob:

  • alle durch die Zulassung (AIC) geforderten Tests durchgeführt und konform sind,
  • die verwendeten analytischen Methoden genehmigt sind,
  • CoAs kritischer Rohstoffe (insbesondere des APIs) vorliegen und genehmigt wurden.

Logbücher und Reinigungsaufzeichnungen:
Nachweis, dass die Anlagen vor Gebrauch qualifiziert, kalibriert und gereinigt (Line Clearance) waren.


Phase 2: Umgang mit Ausnahmen (Abweichungen und OOS)

Eine perfekte Charge ist selten. Die wahre Kompetenz der QP zeigt sich in der Bewertung der „Ausnahmen“.


Szenario 1: Es gibt eine Prozessabweichung

Vorgehen:
Die QP muss den Abweichungsbericht prüfen.

Gedankliche Checkliste der QP:

  • Wurde die Root Cause Analysis gründlich durchgeführt?
  • Wurde die Auswirkung auf die Qualität der Charge korrekt bewertet?
  • Wurde die Abweichung vor der Freigabe geschlossen?
  • Wurden CAPA-Maßnahmen definiert?

Entscheidung:
Wenn die Abweichung geringfügig ist und das QRM (Quality Risk Management, ICH Q9) zeigt, dass kein Risiko für den Patienten besteht, kann die QP freigeben – unter Dokumentation ihrer Bewertung (gemäß Annex 16, Abschnitt 3).
Wenn die Auswirkung unklar oder kritisch ist, muss die Charge blockiert („Hold“) oder verworfen („Reject“) werden.


Szenario 2: Es liegt ein OOS-Ergebnis (Out of Specification) vor

Vorgehen:
Die QP muss die gesamte OOS-Untersuchung prüfen (häufig Hauptgrund für kritische Inspektionsbefunde).

Gedankliche Checkliste der QP:

  • War die Laboruntersuchung (Phase 1) wissenschaftlich valide?
  • Ist eine Invalidierung des OOS (falls erfolgt) durch eine eindeutig nachgewiesene Ursache (z. B. analytischer Fehler) begründet?
  • Wenn das OOS bestätigt ist, muss die Charge verworfen werden.

Häufiger Fehler (unbedingt vermeiden):
Ein „Testing into Compliance“ (so lange testen, bis ein konformes Ergebnis erscheint und das OOS ignoriert wird).
Das gilt als Fälschung und führt nahezu sicher zu einer Warning Letter.


Phase 3: Die finale Entscheidung und die Zertifizierung

Nach Prüfung aller Dokumente und Ausnahmen trifft die QP die formale Entscheidung.


Schritt 1: Die Pre-Release-Checkliste

Viele QPs verwenden eine operative Checkliste (wie in der GuideGxP-Leitlinie), um sicherzustellen, dass nichts übersehen wurde:

  • BMR/BPR vollständig und unterschrieben?
  • CoA gemäß AIC-Spezifikationen konform?
  • Alle Abweichungen/OOS abgeschlossen und bewertet?
  • Rohstoffe konform (API, Hilfsstoffe, Verpackungsmaterialien)?
  • In-Process-Kontrollen (IPC) konform?
  • Stabilitätsdaten vorhanden?
  • Etikettierung (SmPC/PL) korrekt für den Zielmarkt?

Schritt 2: Die Zertifizierung (Die Unterschrift)

Die QP unterschreibt das Freigaberegister oder das Chargenzertifikat.
Diese Unterschrift – ob auf Papier oder elektronisch mit digitaler Signatur – bedeutet, dass die QP die persönliche Verantwortung für diese Charge übernimmt.
Das Register muss mindestens 5 Jahre archiviert werden.


Schritt 3: Operative Freigabe

Die QP (oder das QA auf ihre Anweisung) informiert das Lager (Logistik), dass die Charge von „Quarantäne“ auf „Freigegeben“ gesetzt werden kann.
In modernen ERP-Systemen handelt es sich meist um eine elektronische Statusänderung, die die Charge für den Versand freischaltet.


Sonderfälle: Bedingte Freigabe

Nicht jede Freigabe ist standardisiert.

ATMP (Advanced Therapy Medicinal Products):
Bei Produkten mit extrem kurzer Haltbarkeit (z. B. CAR-T) kann die QP gezwungen sein, freizugeben, bevor alle Tests (z. B. Sterilität) abgeschlossen sind.
Dies ist eine hochriskante, mit den Behörden abgestimmte bedingte Freigabe.

Abweichungen (Annex 16, Abschnitt 3):
Wie beschrieben kann eine QP eine Charge bei geringfügiger Abweichung freigeben, wenn das Risiko als vernachlässigbar eingestuft wurde.
Die „Bedingung“ ist die vollständige QRM-Dokumentation.


Fazit: Die Freigabe als Akt der Disziplin

Der Prozess der Chargenfreigabe ist ein GMP-Ritual, das Disziplin, Strenge und technische Kompetenz erfordert.
Annex 16 liefert den Rahmen – doch die Erfahrung der QP im „Lesen“ der Daten und Erkennen von Risiken entscheidet, ob eine Unterschrift echte Qualität garantiert oder nicht.

Um jede einzelne Position der Freigabe-Checkliste zu beherrschen, komplexe Abweichungsszenarien zu managen und Annex 16 korrekt zu interpretieren, ist der „Vollständige Leitfaden zur Rolle der Qualified Person (QP)“ von GuideGxP.com das unverzichtbare operative Handbuch.

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